Messeneuheit: Nachhaltige Arbeitskleidung aus Hanf

Von Matrosen lernen: Nachhaltige Arbeitskleidung aus Hanf

Ausgerechnet die Kleidung, in der wir besonders viel schwitzen, läßt sich nicht heiß waschen. Unangenehme Gerüche setzen sich fest. Und das Klima in mancher Jacke und Hose auch könnte angenehmer sein. Doch jeder kennt das Argument, nur Synthetikfaser würde den Schweiß schnell nach außen leiten und den Körper trocken halten. Genau dies bestreiten jedoch die Entwicklerinnen von Arbeitskleidung aus biologisch angebautem Hanf und Baumwolle: Während die High-tech-Kunststoffschicht ab einer bestimmten Menge Feuchtigkeit nichts mehr davon ausleiten kann und stattdessen auf der Innenseite irgendwann genauso nass wird wie außen, kann Hanf offenbar 20% der Feuchtigkeit aufnehmen, ohne nass zu wirken. Die Körperwärme sorgt für Verdunstung, was wiederum kühlt – ein klimatisierender Effekt. Weder pappt das Gewebe auf der Haut wie wir das von reiner Baumwolle kennen, noch wird er hart bei Feuchtigkeit.

Die reiß- und abriebfeste Hanffaser kann aber noch mehr: Sie wirkt fungizid, antimikrobakteriell, schmutzabweisend und hält selbst bei dünner Verarbeitung noch die UV-Strahlung ab. Unsere Vorfahren wußten um die positiven Eigenschaften des Hanfs, weshalb die Seefahrernationen daraus sowohl langjährig nutzbare Segel und Taue ihrer Schiffe herstellten als auch die strapazierfähige Kleidung ihrer Matrosen. (Heute müssen bestimmte Taue aus Plastik schon nach einem einzigen Segeltörn ausgetauscht werden, weil sie durch Wind und Wetter spröde werden.)

Warum ging das alte Wissen verloren? 1929 wurde Hanf in Deutschland und vielen anderen Ländern verboten, weil der bis dahin freie Konsum an Marihuana (aus den Blüten der weiblichen Pflanze) und Haschisch (aus den Harzdrüsen der Blätter, Knospen und Zweige) weltweit überhandnahm. Segelschiffe wurden durch Dampfschiffe ersetzt. Gleichzeitig trat Baumwolle durch ihre leichtere maschinelle Verarbeitbarkeit den internationalen Siegeszug an und die Papierindustrie wechselte von der Zellulosequelle Hanf zu Holz. So geriet Hanf in unseren Breiten für Jahrzehnte ins Hintertreffen, während Türken und vor allem Chinesen vollkommen vorurteilsfrei damit umgehen. Diese Staaten fördern sogar den Anbau, denn erstens ist die Pflanze mit dem botanischen Namen cannabis pflegeleicht: Sie braucht kaum Düngung und keinerlei Herbizid, da sie schneller wächst als jedes Beikraut. Zweitens, und deshalb mischen sich hier Regierungen ein, hinterläßt Hanf nach der Ernte ein vitalisiertes Feld, wirkt also als großflächiger Bodenverbesserer. So sanieren andere Länder ihre ramponierten Agrarlandschaften. Und vom zwielichtigen Image hat sich der Rohstoff ebenfalls  gereinigt: Inzwischen gibt es THC-freien Hanf, aus dem kein Rauschgift mehr hergestellt werden kann.

Unter dem Strich erhält also der neu entdeckte Hanf im angestammten Einsatzbereich der Outdoor-Arbeitskleidung eine weiße Weste. Und die erstrahlt noch heller durch zwei weibliche Firmengründerinnen, welche die Nachhaltigkeit ihrer neu entwickelten Arbeitskleidung in sämtlichen Aspekten konsequent durchziehen – nicht zuletzt, um die gewaltige Menge von 92 Millionen Tonnen textilen Mülls (Jahr 2020) zu reduzieren. Zwei Drittel dieses Müllbergs bestanden aus Kunststoffen, also Erdöl.

Warum kamen ausgerechnet Frauen auf die Idee mit der neuen Arbeitskleidung? Weil sie am eigenen Leib ausprobierten: Weibliche Beschäftigte in Handwerk, Landwirtschaft, Forst und Baumpflege müssen sich bei der Berufskleidung mit Hosenschnitten für Männer begnügen. Ist frau richtig aktiv, rutscht die Hose entweder oder sie zwickt und drückt. Auch der Schnitt von Jacken und Westen der meisten herkömmlichen Marken stellen für weibliche Kunden bestenfalls Kompromisse dar. Das Schwesternpaar Cornelia Simon (Unternehmensberaterin im Bereich Agrarmarketing, inzwischen spezialisiert auf Permakultur) und Eva Simon (experimentierfreudige Schneidermeisterin mit familiären Testpersonen aus dem Handwerk) nutzten den Corona-Lockdown zur Entwicklung von besonders robustem Stoff und jeweils eigenen Schnitten für Männer, Frauen und Kinder. Sie präsentierten ihre Innovation unter anderem auf der GaLaBau 2022 in Nürnberg.

Der voriges Jahr gegründete Startup läßt mit nachhaltiger Energie in China fertigen, weil dort dreimal im Jahr Hanf geerntet werden kann, bei uns nur einmal. Außerdem stehen in Fernost genug passende Produktionsmaschinen. Färben und Nähen finden ebenfalls in China statt, unter fairen Arbeitsbedingungen. Das gleiche gilt für die Produktion von bio-zertifizierte OCS-Baumwolle, die zugunsten Weichheit und Gleichmäßigkeit der Hanffaser zu 45 % beigemischt wird. Nach der Verarbeitung kommt die Ware – in Graspapier gehüllt – CO2-sparend mit dem Zug nach Deutschland, wo sie in einem Geschäft in München erhältlich ist oder im Webshop bestellt werden kann.

Bis auf geringste Mengen Plastik in Reissverschluss, Spangen und Klettverschlüssen, natürlich aus recyceltem PET, ist die Hanf-Baumwoll-Kleidung nach Ende ihres Lebenszyklus vollständig kompostierbar. Doch keine Sorge: Wer mal seine Jacke im Wald liegenläßt, wird sie am nächsten Tag wohlbehalten wiederfinden. Ohne die Kombination Wärme, Wasser und Bakterien hält die robuste Outdoor-Kleidung sehr viele Jahre.

Bezugsquelle: https://enywear.de

Foto 1: „Schneidermeisterin Eva Simon (enywear) präsentiert auf der GaLaBau neu entwickelte Hanf-Baumwoll-Arbeitskleidung“.